Zur Sicherheit des Ruderns auf Bodden- und Küstengewässern

Von Gerhard Schulz (1927-2020)

 

"Ein Narr, der die See nicht fürchtet!"

Auf einem Türbalken einer Fischerhütte auf Rügen

 

Wohl alle Wanderruderer zählen die Fahrten über große Binnengewässer oder in Küstengewässern zu den schönsten Erlebnissen. Leider aber lässt sich nachweisen, dass besonders auf solchen Gewässern die meisten Unfälle, auch wiederholt mit tödlichem Ausgang, passierten.

 

Die wesentlichen Ursachen hierfür waren:

  • Unerfahrenheit der Ruderer und Steuerleute
  • Unkenntnis der örtlichen Wasser- und Uferverhältnisse
  • Falsche Einschätzung der Wind- und Wasserverhältnisse
  • Ungeeignetes Bootsmaterial bzw. falsche Beladung
  • Leichtsinniges und verantwortungsloses Verhalten
  • Zeitdruck (Einhalten des Zeitplanes)
  • Rudern unter Alkoholeinfluss

 

In diesem Beitrag sollen den "Seefahrern" einige wichtige Fakten, die man bei künftigen Fahrten auf offenen Gewässern berücksichtigen sollte, dargelegt werden.

 

Zwar sind Wellen keine Besonderheit ausgedehnter Gewässer, doch spielen sie hier eine größere Rolle. Höhe, Länge und Form sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Von größter Bedeutung sind natürlich Windstärke und Windrichtung. Darüber hinaus sind Uferverlauf und Tiefe des Gewässers von großem Einfluss. So ist die Wellenlänge und -höhe sehr von der Wassertiefe abhängig. In flacheren Gewässern ist die Wellenlänge kurz, die Wellen sind nicht so hoch, aber doch verhältnismäßig steil. Haben sie ihre der Wassertiefe entsprechende Höhe erreicht, so wachsen sie nicht weiter, sondern beginnen zu brechen. Diese kurzen Wellen sind am günstigsten unter einem möglichst steilen Winkel anzusteuern und mit geringer und gleichmäßiger Geschwindigkeit zu kreuzen. Dies wird durch kurze Ruderschläge erreicht. Anderenfalls würde durch die Trägheit des Bootes der Bug nicht die Zeit finden, sich von den Wellen anheben zu lassen, und das Boot taucht in die Welle ein, was beim ungedeckten Boot das Volllaufen bedeuten würde. Auch würde bei zu viel Fahrt das Spritzwasser ständig vom Bug her über die Mannschaft hinweg ins Boot schlagen.

 

Längere Wellen steuert man möglichst im flachen Winkel an bzw. rudert parallel. Gefährlich wird es, wenn diese Wellen beginnen zu brechen, besonders in Strandnähe. Dann ist schon sehr große Aufmerksamkeit und Erfahrung nötig, um Brecher rechtzeitig zu erkennen und ihnen durch Beschleunigung oder Verzögerung auszuweichen.

Besser wäre es natürlich, es gar nicht erst zu diesem Kampf kommen zu lassen, weil oft ein einziger Brecher dieser längeren Wellen ausreicht, um das Boot vollzuschlagen. Man sollte auch beachten, dass unter den beschriebenen Verhältnissen eine gelungene Wende als Glücksache betrachtet werden kann. Sollte sie aber der einzige Ausweg sein, heißt es, die anlaufenden Wellen aufmerksam zu beobachten und den geeigneten Augenblick zu erkennen, um ohne Hektik, aber schnell die kurze Wende auszuführen. Bei Wellen querab ist es ratsam, das Rudern zu unterbrechen, die Blätter auf das Wasser zu legen und durch Verlagerung des Körperschwerpunktes die Luvseite des Bootes anzuheben.

 

Sollte man es gar nicht erst zu diesem Kampf kommen lassen und die entsprechende Wetterlage an Land abwarten?

 

Es muss darauf hingewiesen werden, dass es, entgegen der üblichen Meinung, keine gesetzmäßige Folge von größeren und kleineren Wellen gibt. Jeder Beobachter an der Ostseeküste und an größeren Seen kann sich davon überzeugen, dass hier ein Zufallsprozess vorliegt.

 

Besonderes Augenmerk möchte ich noch auf die Wellen richten, die uns bei achterlichem Wind zusetzen. Wir müssen uns rechtzeitig im Klaren darüber sein, wie hoch die Wellen bei der herrschenden Windstärke in größerer Entfernung vom Ufer sein werden. Auch die aufmerksamste Beobachtung mit dem Fernglas gibt uns meist ein falsches Bild, da die ablaufenden Wellen uns nur wenig von ihrer Höhe und ihren Schaumkronen zeigen. Hat man sich zur Überfahrt entschlossen und erkennt nach einigen 100 Metern, dass die Wellen allmählich eine kritische Höhe erreichen, so sollte ohne Diskussion schnellstens gewendet werden. Gerade die achterlichen Wellen können für unsere Boote sehr gefährlich werden. Da diese in der Bewegungsrichtung immer etwas variieren und die Steuerbewegung stark reduziert wird, ist ein Schlingern gar nicht zu vermeiden. Es fällt daher schwer, besonders in den steuermannslosen Booten, eine bestimmte Richtung einzuhalten. Oft muss schon alle Kraft aufgewendet werden, um das Boot wieder in den richtigen Kurs zu bringen. Auch hier kann eine zu langsame Fahrt noch mehr Gefahr bedeuten als eine schnelle, weil dann die anlaufenden Wellen das Heck überspülen. Bei einer solchen Fahrt mit Wind und Wellen ist die Erhaltung des Gleichgewichts im Boot schwieriger, so kommt es häufiger zu Kenterungen in dem Augenblick, in dem eine Welle unter dem Kiel durchläuft.

 

Durch Überlagerung der Wellen verschiedener Richtungen entstehen die oft gefährlichen Kreuzseen. Diese können sich bilden, wenn die Fahrwellen eines Schiffes die Wellen schneiden oder die Wellen durch feste Ufer reflektiert werden. Solche Wellen sind besonders kabbelig und steil. Man findet selten ein Rezept, diese Wellen im richtigen Winkel anzusteuern. Ganz typisch sind diese Wellen in buchtenreichen Gewässern wie dem Achterwasser bei Usedom, in der Nähe von Molen und Buhnen, in verkehrsreichen Häfen und bei Winddrehung. Solche Wasserverhältnisse können dem Ruderer schon bei geringen Windstärken gefährlich werden.

 

Bei größeren Gewässern wäre noch ein weiterer Umstand zu beachten. In der Nähe des Ufers, also in flacherem Wasser wird die Welle durch die Reibung am Grund abgebremst. Das führt dazu, dass durch die nachfolgenden Wellen ein Druck ausgeübt wird, der zu einer Erhöhung der Wellen führt. Da hierbei ein gewisser Grenzwert überschritten wird, beginnt die Welle zu brechen, was wir als Brandung bezeichnen. So kann es also vorkommen, dass wir die Fahrt bis hier gut überstanden haben und nun in unmittelbarer Ufernähe auf "Tauchstation" gehen. Solche unliebsamen Ereignisse kann man vermeiden, wenn man weiter ab vom Ufer daran denkt, dass man noch die Brandungsgrenze mit entsprechend gefährlichen Wellen durchqueren muss und so lieber die Fahrt etwas früher abbricht. Gibt es kein Zurück mehr, wartet man einige niedrige Wellen ab und rudert mit ihnen durch die Brandungszone. Wenn dann noch die Mannschaft kurz vor dem Strand beiderseits aus dem Boot steigt und das Boot das letzte Stück mit festem Griff ans Ufer führt oder bei steinigem Grund trägt, dann wird auch die Gefahr eines Plankenbruchs vermieden.

Auf alle Fälle ist das schnelle Auflaufen auf den Strand immer als grober Unfug zu Betrachten.

 

Was ist noch für Fahrten auf großen Seen und den Küstengewässern zu beachten?

 

Zunächst muss für eine solche Fahrt das geeignete Boot zur Verfügung stehen. Am günstigsten sind kleinere Bootsklassen, also Zweier o.St. oder Zweier m.St.. In Küstengewässern sollten auf jeden Fall gedeckte Boote Verwendung finden, notfalls tun auch Persennings über Bug- und Heckraum gute Dienste. Breitere Boote, also A-, D- oder Seegigs liegen im Seegang besser als schmalere. Auch seitlich an der Bordwand angebrachte Abweiser leisten oft wertvolle Dienste. Wenn diese Seite geklärt ist, müssen geeignete Mannschaften zusammengestellt werden. Schon ein Anfänger im Boot kann uns in Gefahr bringen, weil er nicht schnell genug auf Kommandos und Situationen reagiert, die nötigen Ruderbewegungen hektisch oder falsch ausführt und das Gleichgewicht im Boot durch ängstliche und falsche Verlagerungen gefährdet. Die Teilnahme von Jugendlichen sollte bei solchen Expeditionen gründlich abgewogen werden.

 

Auf zu genaue Planung der Ruderzeiten und Etappen kann man verzichten, denn selten lassen sie sich verwirklichen. Reservetage müssen auf jeden Fall eingeplant werden. Es wäre falsch, sich bei solchen Fahrten völlig auf feste Quartiere bzw. öffentliche Zeltplätze und Gaststätten einzurichten. Gerade dadurch kommt es zu dem erwähnten Zeitdruck, der wiederum zu gefährlichen Entscheidungen führt.

Hier helfen die Segnungen der modernen Zeit, wie die Einrichtung eines Landdienstes und der Kontakt mit Handy zu ihm.

 

Ein Fahrtbeginn in den frühen Morgenstunden, gegebenenfalls schon bei Sonnenaufgang, vermittelt oft besonders schöne Eindrücke und die Wahrscheinlichkeit für ruhiges Wasser ist groß. Das Frühstück lässt sich auch später nachholen. Gefahren ergeben sich allerdings, wenn in der Dämmerung bzw. im Dunkeln gerudert wird. Leicht unterschätzt man bei den ungünstigen Lichtverhältnissen die Höhe der Wellen. Außerdem kann man gefährliche Wellen nicht frühzeitig erkennen. Ein Unfall wird hier prekär, weil er kaum von anderen bemerkt wird.

 

Bei der Auswahl des Gepäcks sollte nur an das Notwendigste gedacht werden. Je leichter die Boote, um so höher das Freibord und um so besser können die Wellen pariert werden. Also noch ein Argument für die Einrichtung des Landdienstes.

 

Vor der Fahrt wird sich der Verantwortliche an Hand von Büchern und Landkarten über den Streckenverlauf informieren, Möglichkeiten günstiger Gewässerüberquerungen, geeignete Notlandeplätze und Gefahrenstellen ermitteln. Empfehlenswert ist es auf jeden fall, sich auch Ratschläge bei erfahrenen Ruderern dieser Gewässer einzuholen. An Ort uns Stelle sind die Hinweise von Fischern recht wertvoll. Die Überquerung größerer Gewässer sollte nur unternommen werden, wenn die Wetterlage für längere Zeit ruhiges Wasser verspricht. In flachen Küstengewässern und noch mehr auf Seen entwickeln sich in kurzer Zeit höhere Wellen, die uns auf der Mitte des Gewässers und darüber hinaus zum Verhängnis werden können.

 

Bei flachen Ufern kann man auch bei stürmischem Wetter noch in dem knietiefen Wasser, wenn auch langsam, rudern. Notfalls lassen sich auch kilometerlange Strecken treidelnd ohne großen Kraftaufwand zurücklegen. Das ist eine nette Abwechslung, die bestimmt später zu unseren lieben Erinnerungen zählt.

 

Übrigens ist es jedem passioniertem Wanderruderer anzuraten, sich durch entsprechende Literatur oder durch eigene Beobachtungen Wetterzeichen deuten zu lernen, um Entscheidungen besser treffen zu können.

Leider ist festzustellen, dass auch Unfälle dadurch verursacht werden, weil die Teilnehmer unter Alkoholeinfluss standen und dadurch die Übersicht verloren. Über solche Verantwortungslosigkeit zu schreiben ist bedauerlich, aber notwendig.

 

Ein letzter Hinweis zu einem anderem Wetterelement. Es geschieht nicht selten, dass wir beim Überqueren größerer Gewässer von einem plötzlichen Nebeleinbruch überrascht werden. Dieser See- bzw. Küstennebel kann so dicht werden, dass die Sicht bei 50 m liegt. Ein kleiner Kompass leistet uns in diesem Fall gute Dienste. Man kann sich auch am Winkel zwischen Fahrt- und Wellenrichtung orientieren, sollte aber das Ufer ansteuern.

 

Es ist zu wünschen, dass diese Ausführungen den Wanderruderern, die Fahrten auf offenen Gewässern planen und durchführen, einige Anregungen und Hinweise geben. Es soll noch einmal festgestellt werden, dass Unfälle auf Seen und Küstengewässern grundsätzlich vermeidbar sind. Erfahrenheit und umsichtiges Handeln drücken sich auch dadurch aus, dass man mal etwas nicht tut, und das hat mit Ängstlichkeit nichts zu tun.